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FELS (2000)

Ganz am Anfang der Komposition stand als eine Art Initialzündung die rein optische Vorstellung von einer kargen, öden, menschenfernen, ja lebensfeindlichen Gesteinslandschaft, der eine eigentümliche Poesie anhaftet. Musikalisch verband sich dieses Bild bald mit dem „Initialklang” des ersten Taktes, der für die gesamte Komposition bestimmend ist. Er gliedert sich auf in
1) dumpfe Schläge der großen Trommel,
2) den durch Spielen mit einem großen Schlegel auf den tiefsten Saiten erzeugten Klavierklang und
3) das Intervall der kleinen None.

Großformal ist v.a. das Intervall der None wichtig, denn, beginnend mit den Tönen c/des „schraubt” es sich, gelegentlich zur kleinen Sekunde „schrumpfend”, nach oben. Von der Fortissimo-Passage aus kehrt es über einen vierfachen Nonenfall, der auch von den Oktavlagen betrachtet eingehalten wird, zum Ausgangsgrundton C zurück.
Neben dieser harmonischen Konstante tragen häufige Reminiszenzen an den Beginn des Stücks (große Trommel, Klavier) zur formalen Geschlossenheit bei.

Bis auf dieses vage harmonische und formale Gerüst, ist die Komposition mehr als eine recht freie Klangstudie gestaltet, die versucht, Abstufungen in einer eher statischen Grundstimmung zu schaffen und diese mit Hilfe klangfarblicher und harmonischer (inkl. mikrotonaler) Mittel umzusetzen.

Abschließend möchte ich betonen, dass der Titel FELS, der natürlich auf meine anfängliche Imagination anspielt, keine Überschrift im Sinne einer Programmatik darstellt, sondern eher eine mögliche Richtung des Hörens angibt, deren Resultate durchaus individuell sein können und sollen.
 
 
 
Atem – aus Stille (2001/02)

Atem schöpfen aus dem Nichts ins Nichts hinein, Expansion eines Ausgangspunktes und der unweigerliche Zusammenfall, musikalisch vereinfacht ausgedrückt „Crescendo” und „Decrescendo” sind Thema dieser Komposition.

Die Ausgangssituation, der Klang gewordene Atemhauch aus der Stille, wird im Laufe der Komposition immer wieder erneut aufgenommen, jedoch stets andersartig und frei assoziativ fortgeführt. Netzartig sind hier die Bezüge zwischen den einzelnen Formteilen gespannt.

In dieser eher ruhig angelegten Musik haben auch grelle Momente und massive Klangblöcke ihren Platz, doch ebenso wie sie der Stille und dem Stillstand abgerungen sind, müssen auch sie letztendlich der Stille weichen und das Stück endet wie es beginnt: „wie ein Hauch”.
 
 
 
interspace (2002)

Der Titel „interspace” – zu Deutsch „Zwischenraum” – erklärt sich allein optisch durch die Aufstellung der Instrumente: eine Trompete im Raum zwischen zwei nahezu gleich besetzten Schlagzeugsets.

Aber auch auf rein musikalischer Ebene geht es um eine räumliche Vorstellung:
Während im Schlagzeug beziehungsvoller Austausch stattfindet, der eine Part auf den anderen reagiert, Klänge sich auf- und wieder abbauen, muss sich die Trompete in dem mal weiter und mal enger werdenden akustischen Raum dazwischen geradezu behaupten.

Integrationsversuche in den Schlagzeugdialog verkümmern dabei jedoch zum in sich vielfach abgestuften Monolog bis hin zum letztendlichen Zerbrechen und Scheitern.
 
 
 
Abgrund (2002/03)

„Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.”
(Jenseits von Gut und Böse, Sprüche, Nr. 146)

Dieses Zitat von Friedrich Nietzsche ist der Komposition als „Motto” vorangestellt.

Der Abgrund steht für mich in diesem Werk für Grenzerfahrungen, für Dinge bzw. Ereignisse, die außerhalb unseres alltäglichen Lebens liegen und deren Reflexion oder Konfrontation uns in psychische Ausnahmesituationen versetzen. Mit Unbehagen aber auch gleichermaßen fasziniert betasten wir das sich uns offenbarende Unbekannte zunächst rational, später mehr und mehr metaphysisch, wobei wir immer weiter Gefangene dieses mysteriösen „Abgrunds” bzw. Gefangene unseres Selbst in der Betrachtung werden und schließlich „aufgesogen” werden. Am Ende steht weder eine Lösung noch eine Antwort.

Bei der musikalischen Konzeption spielt die Zahl „drei” eine besondere Rolle:
Die insgesamt zwölf Spieler teilen sich, neben zwei Schlagzeugern und einem Pianisten, in drei Instrumentalgruppen auf, mit jeweils einem Holzbläser, einem Blechbläser und einem Streichinstrument. Ausgangspunkt für das melodische Material und die Harmonik ist das Intervall der Duodezime (Oktave plus Quinte) mit der natürlichen Proportion 1:3. Dabei sind die eingearbeiteten vierteltönigen Verläufe aus melodischen Stauchungen abgeleitet. Ferner stehen die drei unterschiedlichen Tempi, die zunächst nacheinander, im weiteren Verlauf des Stücks aber auch zugleich ablaufen, im Verhältnis 3:4:5.
 
 
 
trans-formation(en) (2003/04)

In diesem Stück geht es um die freie Übertragung – Transformation – der elektronischen Grundschwingungsformen Sinus, Rechteck und Sägezahn auf groß- und kleinformale sowie melodisch-rhythmische Gestaltung. Das Ganze findet, jenseits elektronischer Klangerzeugung, im rein instrumentalen Kontext statt. Die Sinusschwingung steht grundsätzlich für gleichmäßige Übergänge, Sägezahn für zielgerichtete Zu- oder Abnahmen von musikalischer Dichte, Crescendi oder Decrescendi, für Accelerandi oder Ritardandi. Die graphische Darstellung der Rechteckschwingung wird dagegen u. a. durch starke Kontraste in Tonhöhe bzw. Register, Lautstärke oder Tempo musikalisch umgesetzt.
 
 
 
Nachtlicht (2005/06)

„Ist es ein das Dunkel durchzuckender Blitz oder nur ein glimmender Schein? Führt es mich weit hinaus, ins Offene? Entfernt es mich weit von meinen im Verborgenen brodelnden Freuden und Ängsten? Oder lotst es mich noch tiefer hinein in den unendlichen Kosmos der Psyche? Blendet es mich oder ist es eine Leuchte auf dem Weg der Erkenntnis? Kann ich mich an ihm wärmen oder muss ich letztlich daran verbrennen, wie ein nachtschwärmendes Insekt? Oder ist alles nur eine Täuschung und das Licht ist nichts anderes als eine noch tiefere, dunklere Dimension in der nächtlichen Schwärze?”

In dem Werk „Nachlicht” spielt das Prinzip der Öffnung eine maßgebliche Rolle. Ambitus, Register, Dynamik, musikalische Dichte, Klangfarbe, Harmonik, sowie melodische Gestik unterliegen oftmals sich öffnenden, aufsteigenden oder z. T. auch sich auflösenden Prozessen. Die großformale Gestaltung beinhaltet unterschiedliche Steigerungscharaktere.
 
 
 
Intra-Terrestrik (2006/07)

Der Mensch, unterwegs, seine Sinne wie Antennen ausgerichtet, empfängt aus seiner Umwelt eine Vielzahl Geräusche, diverse Signale, Kommunikationsvorgänge. Wie sieht es jedoch in ihm aus, bevor der innere "Decoder" des Geistes die ankommenden Eindrücke entschlüsselt und klassifiziert? Gleichsam in einem Halbwachzustand, sich der externen "Befeuerung" des Ichs hingebend, öffnet sich die weite Landschaft einer inneren Welt, zwischen Traum, Ahnung und Erinnerung verharrend, das Wirkliche im Möglichen verschwimmend...
 
 
 
Korrelation (2007)

In der elektronischen Komposition "Korrelation" geht es um die Beziehungen von Klängen untereinander, um Varianzen, um Kontraste. Das Klangmaterial besteht aus einfachen statischen Klängen, zweistimmigen "Akkordklängen" sowie aus Klanggemischen/Clustern. Das Tonhöhen-"Raster" besteht aus einer Oktaveinteilung in 19 Töne, wodurch gewährleistet werden soll, dass die Klänge nicht an traditionelle Akkordbildungen erinnern. Dabei wurde das Klangmaterial nach folgendem Prinzip ausgewählt: Je wenigstimmiger der Klang, umso farbiger bzw. individueller das zu Grunde liegende Sample und – umgekehrt – je vielstimmiger, desto einfacher das Sample, bis hin zu Sinustönen als Basis.
 
Die Kompositionsidee beinhaltet folgende drei Elemente:
Erstens: Pulsationen der gegebenen Klänge in verschiedenen Geschwindigkeiten und Taktmetren. Je höher das Pulsationstempo, umso "einfacher" der zu Grunde liegende Klang. Zweitens: Varianzen, also Abweichungen der Klänge und der Pulsationen in vertiakaler ("harmonischer") und horizontaler ("rhythmischer") Art und Weise. In der Vertikalen verändert sich bei jeder Klang-(Ton-, Akkord-, Cluster-)Wiederholung die Tonhöhe. Zeitliche Verschiebungen innerhalb des regelmäßigen Metrums bewirken eine horizontale Veränderung. Drittens: Polymetrik, d.h. Überlagerung von Pulsationen in unterschiedlichen Metren.
 
Das Stück besteht formal aus zwei kontrastierenden Teilen auf der Basis desselben Materials, die mit einem Klangband in der Art einer "tönenden" Generalpause miteinander verbunden sind. Während im ersten Teil harte Klangfarben, eine prägnante Rhythmik und eine hohe Lautstärke dominieren, herrschen im zweiten Abschnitt freundlichere, sanftere Farben und Klangverbindungen vor. Im Schlussabschnitt tauchen schließlich über einer langgezogenen Bass-Linie verschiedenartige Referenzen an vorherige Formteile auf.
 
 
 
Netz dunkler Glut (2007)

Der Titel deutet es an: Netzartige Liniengeflechte und Pulsationen sind die Grundelemente in dieser Komposition, deren Klangbild durch die Besetzung mit eher tiefen Instrumenten bestimmt wird. Zunächst stehen sich die von der Ein- zur Mehrstimmigkeit verzweigenden und auffächernden melodischen Linien und das rhythmisch-akkordische Pulsieren abwechselnd gegenüber, wobei sie sich im Verlauf des Stücks in wellenförmigen Bewegungen mehr und mehr durchdringen. Nach einem Aus- und Zusammenbruch von sich im gesamten Tonraum aufstauenden Energien, bleibt nur noch eine einstimmige Melodie in tiefster Lage übrig, unter einem schwach leuchtenden, hohen Klangband. Die Glut verglimmt...
 
 
 
Snapshots (2007/08)

Diese elektronische Komposition besteht aus einem Zyklus von je 59 Sekunden langen, kleinen Stücken – subjektiven Momentaufnahmen, klanglichen Situationen, assoziationsreichen Miniaturen der unterschiedlichsten Art. Ebenso vielfältig ist die Herkunft des verwendeten Klangmaterials: Synthesizer, akustische Instrumente und (Alltags-)Geräusche wurden bei der Realisierung ausgiebig transformiert, verfremdet oder neu kombiniert. Bei jeder Aufführung können Anzahl und Reihenfolge der Snapshots variieren, bewusst ausgewählt oder per Zufall arrangiert werden.
 
 
 
Frontal (2008)

Fronten, Mauern, Grenzen – überall und unausweichlich: Die Musik pendelt zwischen sich zielgerichtet entwickelndem Aufbegehren und statisch kreisender Auswegslosigkeit, eingeklemmt zwischen immer neu sich manifestierenden Wänden, Abgründen und Konfrontationen. Nach größter Anstrengung und einem unausweichlich gewaltigen Sog, tritt plötzlich Ruhe ein, die Kraftreserven sind aufgebraucht. Auf der Kehrseite angekommen, scheint die Zeit anders zu verlaufen. Doch auch hier ist kein Halt zu finden. Es herrschen schwebende Zustände und die Vision gleitet ins Alptraumhafte...
 
 
 
Fences (2009)

Imaginäre Umgrenzungen aufsteigender Höhe und deren sukzessive Üerwindung ist die der Komposition "Fences" zugrunde liegende Idee. Nach in sich rotierenden Akkorden in enger Lage zu Beginn, erweitert sich nach und nach der Umfang, mehr und mehr – auch klanglich – werden die instrumentalen Grenzen ausgelotet und das musikalische Geschehen wird zunehmend dynamischer. Am Punkt der höchsten Expansion kollabiert die Musik und wird schließlich auf ein verzerrtes Unisono in der Mitte des Tonraums zusammen gestaucht, das sich langsam in Geräusche auflöst. Plötzlich ist die letzte Hüde überwunden und unvermittelt öffnen sich nun alle Tore zu einem schrankenlosen Universum ruhig fließender Klänge: zeitlos und geheimnisvoll...
 
FENCES ist dem Signum Saxophonquartett gewidmet.
 
 
 
Inspired by the idea of overcoming constraining fences with rising height, the music develops in increasing energy levels and expanding instrumental ranges. The atmosphere, starting softly with a smoothly changing and rotating chord, is gaining tension by more and more linear progressions, often interrupted by homophone blocks. After a vibrating climax the music collapses to a heavy, microtonal coloured unison of all four instruments, subtly changing and dematerialising into pure key sounds. Suddenly the delimiting wall has disappeared, the last fence has been overcome: Doors open to a free universe of calmly floating sounds – timelessly, mysteriously...
 
FENCES is dedicated to the Signum Saxophone Quartet.
 
 
 
Roundabout - Game? (2010)

"Roundabout – Game?" ist eine Komposition mit vielen improvisatorischen Elementen und gruppendynamischen Prozessen für variabel besetztes Ensemble mit drei bis zehn Spielern. Die Instrumentalisten spielen – jeder in seinem Tempo und in seiner eigenen Auswahl rhythmischer Modelle – miteinander, überholen sich oder lassen sich gemeinsam im Fluss der nie still stehenden Bewegung treiben. Wie in einem Kreisverkehr gibt es innerhalb des in geschlossenen Kreisen angeordneten, musikalisch-melodischen Materials verschiedene "Ein-" und "Ausfahrten", durch welche die klanglichen Individuen in Erscheinung treten, sich durch Anpassung oder Auflehnung am gemeinsamen Mit- oder Nebeneinander beteiligen und wieder von der Klangfläche verschwinden: Konstant ist nur der Wechsel der immer wieder neuen Konstellationen.
 
 
 
Abbilder (2010)

Subjektive Abbilder sind durch individuelle Perspektiven entstehende Darstellungen eines Urbildes. Sie sind diesem in gewisser Hinsicht ähnlich, können jedoch in unterschiedlichen Graden davon abweichen. Ebenso tritt die dieser Komposition zugrunde liegende Linie, eine anfangs- und endlose Klangspur, wie eine "innere Stimme" nie konkret und unverstellt in Erscheinung, sondern immer in Form von Abbildern: gefiltert, verbogen, durch Vorausahnungen, Echos oder Rückblenden zu sich selbst in Beziehung gesetzt, auf dem schmalen Grat zwischen konkret Greifbarem und Irrealem ab- und wieder auftauchend, angereichert durch unterschiedlich dichte Klangschattierungen.
 
Schatten – Abbilder spezieller Natur – sind zwar existenziell an ihren Ursprung gebunden, jedoch verwandelt sich ihre Form und die Kontur ihrer Umrisse ständig durch Änderungen der Beleuchtung und Perspektive. Von ihrem Urbild losgelöste Schatten entsprechen dabei oft einem sehr reduzierten oder verschleierten Abbild. Sie lassen das Ursprüngliche nur erahnen oder führen durchWahrnehmungstäuschungen in die Irre.
 
In dieser, im weiten Sinne "einstimmig" gedachten Komposition, sind die drei Instrumentalisten Teile eines einzigen, klangerzeugenden Körpers. Die Posaune vertritt das Atmende in mannigfaltigen Abstufungen. Das Akkordeon ist die Verlängerung und Erweiterung dazu: Die Tonerzeugung erfolgt ebenfalls mit Hilfe von Luft, jedoch wird der Klang bereichert durch den viel größeren Tonumfang und die Möglichkeit des mehrstimmigen Spiels. Gleichzeitig steht das Akkordeon durch seine ganzkörperliche Spielweise vermittelnd zwischen der Posaune und dem rein manuell und mechanisch zum Klingen gebrachten Schlaginstrumentarium und seinen, an keinen Atemzug oder Luftbalg gebundenen, klanglich reichen Möglichkeiten.
 
 
 


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